Predigt-Slam lädt in Neuhäusel zum Träumen ein

Mal witzig, mal ernst, oft bewegend: Sieben Menschen gewähren Einblicke in ihre Traum-Welten

Westerwaldkreis. Eine Kirche als Traktor. Oder als Ort, an dem Tränen abgewischt werden. Als Ort der Hintertüren, des Alten und Neuen. Und als etwas, das ausgelacht wird? Das alles sehen sieben Menschen, wenn sie die Augen schließen und träumen – beziehungsweise träumen wollen. In der Erlöserkirche Neuhäusel haben sie davon erzählt: in einem Predigt-Slam, vor mehr als 50 Gästen.

Predigt-Slams ähneln den Poetry-Slams, das sind literarische Wettbewerbe, bei denen AutorInnen selbst verfasste, kurze Texte unter bestimmten Regeln vortragen und das Publikum am Ende entscheidet, welcher am beeindruckendsten war. In Neuhäusel präsentieren die Teilnehmenden kompakte Predigten statt Lyrik. Gedanken über „Siehe – ich mache alles neu?! Mein Traum von Kirche“, der Überschrift des Abends. „Einen Sieger küren wir diesmal nicht“, sagt der Neuhäuseler Pfarrer und Predigt-Slam-Initiator Fabian Schley zu Beginn und verspricht „inspirierende und spannende Beiträge“. Recht hat er, denn jeder der sieben Vorträge war auf seine Art besonders. Wie der von Birgit Guddat, die den Abend eröffnet: „Was ist gut, was ist schlecht? Was kommt Neues, was kann bleiben?“, fragt sie sich in ihrem rhythmischen Vortrag immer wieder; stellt Tradition und Moderne gegenüber, bis am Ende ihres Traumes Altes und Neues im Takt sind: „Es ist ein guter Weg, wenn Jung und Alt nebeneinander auf den Stühlen hocken und entweder zusammen rocken oder gemeinsam mit leisen Stimmen langsam den Himmel erklimmen.“

Die nächste Kurzpredigt folgt einem anderen Metrum. Charlie Daum-Schley baut einen beeindruckenden Spannungsbogen auf; die Körpersprache wirkt wie ein Ausrufezeichen hinter jedem der leidenschaftlichen Sätze. Bei diesem Slam ist der Traum kein Warten darauf, dass schon alles gut werden wird, irgendwann: „Wie schade wäre es, wenn mein Traum von Kirche eine Utopie des Endes bliebe; wenn er im Jetzt nur Schall und Rauch ist.“ Was für Charlie Daum-Schley zählt, ist das Heute: „Eine Gemeinschaft, die nicht erst am Ende ihre Tränen abgewischt bekommt, sondern die sich im Hier und Jetzt schon stützt. Mein Traum von Kirche ist eine Kirche, die für Gerechtigkeit kämpft und ihre Verantwortung in der Gesellschaft jetzt wahrnimmt.“ Ein kraftvoller Slam, voller Hoffnung und fordernd zugleich.

Stephan Schnelles Beitrag nimmt das Tempo heraus. Sein Slam fließt ruhig und malt heimelige Bilder von wärmenden Lagerfeuern und knorrigen Traktoren. Der Pressesprecher des Bistums Limburg spricht über Traditionen, die Tiefe und Halt geben – und über den Mut, die Wohlfühlzonen zur rechten Zeit zu verlassen: „Wenn wir uns zu lange nur an die Vergangenheit klammern, kommen wir nicht vorwärts. Kirche muss sich bewegen – und wenn das heißt, dass sie mal aus der Komfortzone raus muss, dann los! Rauf auf den Acker.“ Für ihn ist Kirche ein Ort, der lebt, weil er liebt. „Eine Kirche, die keine Angst davor hat, sich die Hände schmutzig zu machen und die in den Menschen das Licht Gottes sieht.“

Der erste Teil des Predigt-Slams endet warmherzig – und geht nach einer kurzen Pause mit einer Überraschung weiter. Monika Christ ist an der Reihe und verrät, dass sie im Schlaf tatsächlich noch nie geträumt hat. In ihrer Predigt denkt sie laut darüber nach, ob sie überhaupt träumen möchte – von Siebenmeilenstiefeln, von Glücksseligkeit, aber auch von Monstern. Doch, möchte sie, entscheidet die Höhr-Grenzhäuser Pfarrerin. Denn Träumen bedeutet: in die Vergangenheit sehen und daraus lernen; in die Zukunft zu hoffen und darauf zuzugehen, vielleicht auch: Gott zu begegnen. „Schenk‘ mir Träume, Gott. Ich will keine naive Träumerin sein und den Kummer der Welt nicht verschlafen. Auch den Kummer, den Kirche schon gebracht hat. Schenk‘ mir die Gabe zu träumen, Gott. Denn ich glaube, Du wirst mich Träume träumen lassen von Orten und Menschen und Festen und Leben, auf das ich mich von Herzen freue, wenn ich aufwache. Und losgehe.“ Ein Blick ins Innere, der berührt und den die Gäste mit viel Applaus wertschätzen.

Auch Rainer Dämgen hat ein Gespür fürs kompakte Format des Predigt-Slams. Sein Traum von Kirche klingt zunächst nach einer unruhigen Nacht: „Mir träumte, ich beträte ein Kaufhaus, das Gottesreich zu verkünden.“ Doch die Menschen nehmen ihn nicht ernst. „Sie verstehen mich nicht, uns nicht, Gott nicht. Und ich wollte ihnen helfen, sich zu ändern, sich zu bessern, sich bereiter zu machen. Aber sie verweigerten sich“, sagt der Pastoralreferent. „Und ich fragte mich, ob es so falsch sein, anders zu sein als sie. Und ich hörte eine Stimme: Nein, es ist nicht falsch, anders zu sein als sie. Aber es ist falsch, sie anders machen zu wollen. Sei anders f ü r und nicht anders g e g e n sie. Denn Er vor 2000 Jahren war auch anders als sie. Aber eben anders für sie – und nicht gegen sie.“

Martina Kissel-Staude wählt einen neuen Weg: Die Pastoralreferentin spricht komplett frei und schlägt auch inhaltlich andere Töne an: „Vielleicht ist unser Auftrag und Ziel nicht die Rettung der Kirche – sondern Jesus nachzufolgen. Nicht mehr, nicht weniger.“ Ihr geht es um Nachfolge, und Wegweiser dafür findet sie in „heiligen Überraschungen“, wie sie die Momente nennt, in denen ihr unverhofft ein Licht aufgeht. Sie erzählt von Erlebnissen, die sie in ihrer Arbeit mit Geflüchteten gemacht hat. Unter anderem davon, wie eine Familie aus der Ukraine Unmengen an Plastik-Wasserflaschen in ihrem Vorratskeller bunkert. „So ein Unsinn, denke ich. Wasser wird davon nicht besser, wenn man es monatelang in Einwegflaschen lagert. Dann aber fällt mir auf, dass jemand, der aus Kiew kommt, vielleicht etwas anderes bedenkt als die Mindesthaltbarkeit.“ Dann macht sie eine Pause und sagt: „Ich habe jetzt einen Vorrat an Wasser im Keller.“

Der Predigt-Slam endet märchenhaft. „Es war einmal zu der Zeit, als Gott noch auf der Erde wandelte“, beginnt Brigitte Kopold und erzählt, wie der Allmächtige schon damals oft durch die Hintertür kam: als Armer, als Zimmermann, als Säugling in einem Stall. „Und so zog er durchs Land, traf überall Menschen und säte seine Botschaft aus: Ihr sucht Gott? Ich bin schon da. Mitten unter Euch. Ich bin die Liebe, der Frieden, die Hoffnung.“  Zusagen, die Brigitte Kopold träumen lassen – von einer Kirche, in der sie Gemeinschaft findet, die die Jungen und Alten erreicht, in der Menschen sich begeistern lassen.

Viele Gäste lächeln am Ende des Predigt-Slams über den „Traum von Kirche“. Sicher, weil sie noch einmal das gefühlvolle Klavierspiel von Matthias Ohlig genießen, der an diesem Abend viele Traum-Lieder interpretiert. Und weil sie vielleicht darüber nachdenken, was wohl wäre, wenn Träume wahr werden. (bon)

Evangelisches Dekanat Westerwald

Sabine Hammann-Gonschorek | Peter Bongard

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